Ausgabe 2022

Das Gesundheitswesen muss wieder auf gesunde Füße

Das Gesundheitswesen muss wieder auf gesunde Füße

In Deutschland werden mehr als 70 Millionen Versicherte von einer der 96 gesetzlichen Krankenkassen versorgt, was etwa 90 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Das System, das den Versicherten eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung bieten soll, krankt allerdings selbst. Treiber des Problems sind Defizite bei Planung, Vergütung und Steuerung im Gesundheitssystem. Zusätzlich getrieben von gesellschaftlichen Entwicklungen, wie einer alternden und immer kränker werdenden Bevölkerung, dem Fachkräftemangel sowie durch bisher nie da gewesene Krisen ist von der deutschen Gesundheitspolitik Handeln gefragt – aus Sicht der IKK Südwest mehr denn je.

Gesundheit darf nicht zu finanzieller Belastung werden

Krisen wie die Coronapandemie und der Krieg in der Ukraine sowie deren weitreichende Folgen stellen unser Gesundheitswesen vor bisher nie da gewesene Herausforderungen. Herausforderungen, die es anzunehmen und im Sinne unserer Versicherten in Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland gemeinsam zu bewältigen gilt. Gelingt es dem Gesetzgeber nicht, diesen und weiteren Entwicklungen nachhaltig mit Reformen entgegenzuwirken, wird die Versorgungsqualität in Zukunft enorm darunter leiden.
Erste Auswirkungen werden bereits deutlich: Die fehlgeleitete Inanspruchnahme überfüllter Notaufnahmen, nicht lieferbare Medikamente und nicht zuletzt die strukturellen Defizite in der pädiatrischen Krankenhausversorgung sind nur einige von zahlreichen Fehlentwicklungen, die zeigen, wie anfällig die Gesundheitsversorgung derzeit ist. Gleichermaßen untermauern sie, dass Reformen bereits jetzt längst überfällig sind.

Durchschnittlicher Zusatzbeitrag

Wir als regionale Krankenkasse sehen uns in der Verantwortung für die Neuausrichtung des Gesundheitswesens. Unser Anspruch ist es, uns im Sinne unserer Versicherten und Betriebe mit praktikablen und nachhaltigen Lösungen in die Politik einzubringen, um auch in Zukunft eine Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, die bezahlbar, wohnortnah und 24/7 sichergestellt ist. Und das ohne Abstriche bei der Versorgungsqualität.

Reform für eine nachhaltige Finanzierung

Ein zentraler Baustein einer tiefgreifenden Reform stellt aus unserer Sicht eine nachhaltige Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dar. Annähernd 500 Milliarden Euro fließen mittlerweile jährlich in die Gesundheit – mit rund 289 Milliarden Euro ist der Anteil der gesetzlichen Krankenkassen an den Gesamtausgaben am höchsten. Gleichzeitig klafft ein finanzielles Loch von jährlich bis zu 20 Milliarden Euro.

Ausgaben der GKV

Um dem Milliardendefizit entgegenzuwirken, wurde vom Bundestag ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Doch sinnvolle und damit langfristig angelegte Reformvorschläge finden darin keinen Platz. Im Gegenteil: Steigende Kosten für die Gesundheitsversorgung werden in erster Linie weiter auf den Schultern der Versicherten und Arbeitgeber ausgetragen. Sollte man die teilweise extremen Steigerungen in den Gesundheitsausgaben nicht in den Griff bekommen, drohen auch in den nächsten Jahren erhebliche Beitragssatzsteigerungen. Das kann gerade in diesen krisenbelasteten Zeiten keine Regierung den Beitragszahlern zumuten wollen.

Vor allem Arzneimittel gehören zu den wichtigsten Kostentreibern im Gesundheitswesen und verursachen dadurch jährlich nicht nur mit die höchsten, sondern auch immer stärker steigende Ausgaben. Mit etwas Mut und Weitsicht würden alternative und sinnvolle Finanzierungsmöglichkeiten, wie eine dauerhafte Senkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 19 auf 7 Prozent, zur langfristigen Gesundung des GKV-Systems beitragen – eine Regelung, die bereits in den meisten anderen europäischen Ländern Standard ist.

Kostentreiber bei den Leistungsausgaben (Werte der IKK Südwest)

Zur nachhaltigen Finanzierung ist allerdings auch zwingend eine Verbreiterung der Einnahmebasis der GKV erforderlich. Hierzu hat die IKK Südwest gemeinsam mit den Innungskrankenkassen einen Vorschlag unterbreitet, der der finanziellen Mehrbelastung ihrer Versicherten, Betriebe und der Wirtschaft entgegenwirkt sowie gleichermaßen das gesundheitspräventive Verhalten beeinflussen kann: Durch eine Beteiligung der GKV an gesundheits- beziehungsweise umweltbezogenen Lenkungssteuern, wie der Tabak- und Alkoholsteuer sowie einer möglichen Umweltsteuer, würden die Aufwände der GKV, die sich aus den gesundheitsschädlichen Auswirkungen ergeben, zumindest zum Teil gegenfinanziert. Eine beispielhaft 50-prozentige Beteiligung der GKV an den Einnahmen der genannten Steuerarten könnte wiederum zu Mehreinnahmen von über acht Milliarden Euro jährlich führen. Darüber hinaus sehen wir auch die Bundesländer in der Verantwortung, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen.

Gesundheit braucht zukunftsfähige Strukturen

Neben der auskömmlichen Finanzierung der GKV müssen die Strukturen in der Versorgungslandschaft weiterentwickelt und an die Herausforderungen der Zukunft angepasst werden. Benötigt wird eine echte Strukturreform, die unter Beteiligung aller Akteure – Politik, Krankenhausträger, Ärzteschaft, weiterer Leistungserbringer sowie der Krankenkassen und ihrer Verbände – konsequent weiter vorangetrieben wird. Die Coronapandemie hat es noch einmal verdeutlicht: Die Krankenhäuser und die ambulanten Strukturen in Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland leisten einen wichtigen Beitrag zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Diese Bedeutung sollte sich auch in einem Umdenken in den Versorgungsmodellen – hin zu einer spezialisierten sowie sektorenübergreifenden Versorgung – widerspiegeln.

Eltern von Sternenkindern stärker unterstützen

Gesundheitsversorgung innerhalb der Solidargemeinschaft lebt von Gleichbehandlung – niemand darf aus unserer Sicht schlechter versorgt werden und damit weniger gute „Chancen auf Gesundheit“ haben. Dies trifft derzeit bedauerlicherweise auf die Situation der Familien und insbesondere der werdenden Mütter nach dem tragischen Ereignis einer Fehlgeburt zu. Eine Analyse der IKK Südwest zeigt, dass viele der sogenannten Sternenkinder, also Kinder, die vor oder während der Geburt versterben, bereits vor der gesetzlich definierten Frist der 24. Schwangerschaftswoche, die den Mutterschutz auslöst, im Krankenhaus entbunden werden, und zwar in mehr als der Hälfte der Fälle. Die harte Grenzziehung des Gesetzgebers führt dazu, dass Mütter schon am Folgetag des oft als traumatisch erlebten Ereignisses wieder arbeiten müssen – ohne Anspruch auf Mutterschutz. Allein aus gesundheitlichen Gründen darf das keiner Frau zugemutet werden.
Hier sehen wir die Politik in der Pflicht, betroffene Frauen besser zu schützen.

Die IKK Südwest spricht sich demnach dafür aus, dass der Mutterschutz früher einsetzt als bisher. Frauen sollten in die Lage versetzt werden, individuell und selbstbestimmt in einer solchen Ausnahmesituation zu entscheiden. Das sollte ein gestaffelter Mutterschutz aus unserer Sicht unbedingt leisten.

Arzneimittelengpässe vermeiden

Eine bessere Gesetzeslage braucht es dringend auch in der Versorgungssicherheit bei Arzneimitteln. Oft schon bei gängigen Medikamenten häufen sich die Meldungen, dass deren Lieferfähigkeit beeinträchtigt oder gar nicht erst möglich ist. Um die Versorgungssicherheit zu stärken und derart untragbare Zustände für unsere Versicherten zu vermeiden, sollten die gesetzlich vorhandenen Werkzeuge aus Sicht der IKK Südwest unbedingt verbessert werden. Um die Lieferfähigkeit und die Therapiesicherheit sicherzustellen, bedarf es einer stärkeren Diversifikation der Arzneimittelproduktion. Dabei muss eine Stärkung der Produktion im Inland und in der EU unbedingt diskutiert werden, um die Abhängigkeit von zu wenigen Produktionsstätten in Asien zu verringern. Um Lieferengpässe frühzeitig absehen zu können, sprechen wir uns dafür aus, die bislang geltende freiwillige Selbstverpflichtung der pharmazeutischen Unternehmen zu einer verpflichteten Meldung umzuwandeln.

Einheitliche Regelungen für Ukraine-Flüchtlinge gefordert

„Niemand darf durchs Raster fallen“ – nach diesem Credo richtet die IKK Südwest ihr Handeln und ihre Unterstützung für die Menschen in der Region aus. So sehen wir uns in der Pflicht, auch in Zeiten der Not unbürokratische Lösungen für die Menschen in Hessen, Rheinland-Pfalz und im Saarland zu schaffen. Der Krieg in der Ukraine hat uns alle tief erschüttert. Das hat auch im Gesundheitssystem ein solidarisches und schnelles Handeln erforderlich gemacht. Viele der in Deutschland ankommenden Ukrainer sind traumatisiert oder haben weitere, teils schwerwiegende gesundheitliche Probleme, die es schnell und ohne Umwege zu behandeln gilt. Aktuell ist die Gesundheitsversorgung der Geflüchteten allerdings nicht bundeseinheitlich geregelt. Das erschwert den schnellen Zugang zur Gesundheitsversorgung, sei es beim Haus- oder Zahnarzt, in der Apotheke oder im Krankenhaus, oft unnötig und stellt eine zusätzliche Belastung für diese Menschen dar.

Gemeinsam mit dem Verwaltungsrat und seinen beiden Vorsitzenden Ralf Reinstädtler (3. v. l.) und Rainer Lunk (4. v. l.) sind die Vorstände der IKK Südwest Prof. Dr. Jörg Loth (4. v. r.) und Daniel Schilling (2. v. r.) im ständigen Dialog mit der Politik, wie hier mit dem Bundestagsabgeordneten und Mitglied im Gesundheits­ausschuss Matthias Mieves (2. v. l.). Das Ziel: eine bessere Versorgung der Versicherten in Hessen, Rheinland­Pfalz und im Saarland.

Geflüchtete können sich in zahlreichen Landkreisen in Rheinland-Pfalz in puncto Gesundheitsfragen an die IKK Südwest wenden. Wer krank ist, kann dort mithilfe der IKK Südwest und der elektronischen Gesundheitskarte ohne bürokratische Hürden zum Arzt gehen. Bereits seit Beginn des Ukraine-Krieges haben wir dafür gemeinsam eine Rahmenvereinbarung mit dem Land Rheinland-Pfalz für die auftragsweise Betreuung von Geflüchteten in Gesundheitsangelegenheiten geschlossen. Die Eckpunkte der Landesrahmenvereinbarung eignen sich im Grunde auch für eine bundeseinheitliche Regelung der Gesundheitsversorgung von Geflüchteten – hierfür setzen wir uns ein.

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